Meine kleinsten Patienten

Meine kleinsten Patienten

Meine kleinsten Patienten

Tiere sind bei mir immer willkommen, und wie es der Zufall so will, haben zwei winzige Spatzenjungen zu mir gefunden. Meine Nachbarin, eine echte Expertin in Sachen Wildvogelaufzucht, bittet mich um die Pflege während ihrer Abwesenheit. Sie hatte die Winzlinge gefunden und kann sich urlaubsbedingt nicht um sie kümmern. Wie kann ich da nein sagen - es ist schlicht unmöglich.

Patientenübergabe

In der Mittagspause findet eine Übergabe statt, und ich werde mit allem Drum und Dran ausgestattet: Würmern, Insekten und Heilerde, Pinzette und Spritze und natürlich den Spatzen in einer Wollmütze. Ich werde genau eingewiesen, wie ich mich um sie zu kümmern habe. Meine Nachbarin hatte alles perfekt vorbereitet. Die beiden Spatzen sind noch fast nackt und so winzig, dass sie in ein Überraschungsei passen. In ihrem Nest haben sie es sich gemütlich gemacht, der Käfig sollte erst später zum Gebrauch kommen.

Mit den Spatzen im Kinderheim

Am Nachmittag habe ich Hausbesuch im Kinderheim. Da die beiden Patienen stündlich gefüttert werden müssen, nehme ich sie in der Kiste einfach mit. Die Überraschung ist riesig: die Kinder können sich an den beiden Kleinen gar nicht satt sehen und würden sie gern streicheln. Fast ist es den kleinen Vögeln ein bisschen zu viel Aufregung, so dass ich die Kinder bitten muss, etwas leiser zu sprechen und sie nur zu beobachten. Den sechsjährigen Paul (Name geändert) frage ich, ob er die Kiste ganz vorsichtig in den Therapieraum tragen könne. Er ist sehr stolz darauf, dass ich ihm so viel Verantwortung übertrage. Jeder vorbeikommenden Person sagt er, was er in der Kiste transportiert.

Wie die Spatzen unsere Herzen öffnen

Paul stellt die Kiste behutsam ab beobachtet die Tiere ganz genau. Sie recken ihre Hälse und öffnen ihre gelben Schnäbel weit auf - es ist Fütterungszeit. Mit der Pinzette steckt Paul die Heimchen in die Schnäbel. Danach gibt er ihnen mit der Spritze breiiges Vogelfutter. Der zurückhaltende Paul, der sonst so wenig spricht, ist plötzlich wie ausgewechselt. Die beiden kleinen, hilflosen Vögel beschäftigen ihn sehr. Ausgerechnet Paul, der kein Elternhaus  hat und sozusagen selbst aus dem Nest gefallen ist, kümmert sich rührend um die Spatzenkinder. Ich als Sprachtherapeutin bin sprachlos. Selbst die Erzieherinnen sind berührt von den beiden kleinen Patienten - ihre Augen glänzen. Doch für meine beiden Zöglinge ist es langsam anstrengend, und nehme ich sie zum Feierabend mit nach Hause.

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